„ÜBERALL GIBT ES EIN HAUSEN“ ist weit mehr als nur ein weiterer unabhängiger Spielfilm – er ist ein mutiger, experimenteller Ausflug in die Welt der kollektiven Kreativität. Der Film, der bei den Hofer Filmtagen präsent war, markiert einen Wendepunkt für das wtp international Filmproduktionsteam. Als sie sich dazu entschlossen, zum ersten Mal in einem Langfilm kollektiv Regie zu führen, entstand ein Projekt, das sich sowohl inhaltlich als auch formal von herkömmlichen Produktionen abhebt. Die Tatsache, dass nach dem tragischen Verlust von Regisseur Roland Reber im Jahr 2022 die gesamte Crew zusammenrückte, um gemeinsam dieses Werk zu gestalten, verleiht dem Film eine emotionale und kreative Tiefe, die in der heutigen Filmwelt selten zu finden ist.
Handlung und thematische Tiefe
Im Kern erzählt „ÜBERALL GIBT ES EIN HAUSEN“ die Geschichte einer Seminarwoche unter dem Motto „Sturmfrei in Hausen“, in der sich sieben Frauen in einem idyllischen bayerischen Bauernhaus begegnen. Diese Zusammenkunft dient als Ausgangspunkt für eine humorvolle und zugleich tiefgründige Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen:
Die narrative Struktur ist dabei so angelegt, dass sie sowohl humorvolle als auch nachdenkliche Momente zulässt. Elemente wie der mysteriöse Traum von einer Sängerin, die skurrile Hausordnung und der sich zuspitzende Familienstreit beim Kuchenessen verleihen dem Film eine fast schon surreal anmutende Qualität, die den Zuschauer dazu einlädt, über den Tellerrand des Alltäglichen hinauszublicken.
Produktionsstil und kollektive Regie
Die Herstellung des Films in nur 17 Drehtagen mit 18 Mitwirkenden – sowohl vor als auch hinter der Kamera – ist ein eindrucksvolles Beispiel für effiziente und kreative Zusammenarbeit. Die Entscheidung, dass alle Schauspielerinnen und Schauspieler aktiv an der Gestaltung ihrer Rollen, Kostüme und sogar Masken beteiligt waren, sorgt für ein hohes Maß an Authentizität. Diese Form der kollektiven Regie führt zu spontanen, lebendigen Performances, da jeder Mitwirkende seine eigene kreative Handschrift einbringt. Das Haus, das nicht nur als Drehort, sondern auch als Unterkunft diente, wird so zu einem echten „Lebensraum“ der Figuren, in dem Grenzen zwischen fiktiver und realer Welt verschwimmen.
Ensemble und Charakterdarstellung
Der Film besticht durch sein vielschichtiges Ensemble:
Diese Figurenkonstellation, in der jede Protagonistin eine ganz eigene Geschichte und Perspektive mitbringt, erzeugt ein dynamisches Spannungsfeld. Die Themen offene Beziehungen, alternative Lebenskonzepte und persönliche Krisen werden nicht von einem einzelnen Erzähler diktiert, sondern entstehen im Zusammenspiel der individuellen Erlebnisse und Konflikte.
Visuelle Umsetzung und Atmosphäre
Ein zentrales Element des Films ist die dichte Atmosphäre, die durch eine minimalistische Kameraarbeit und die Beschränkung auf einen Haupt-Drehort erzeugt wird. Das Bauernhaus in Oberbayern wird nicht nur als Hintergrund genutzt, sondern lebt als ein weiterer Charakter im Film mit. Die bewusst reduzierte Besetzung und das enge Setting ermöglichen es, den Fokus voll und ganz auf die zwischenmenschlichen Beziehungen zu richten. Die Kamera fängt dabei nicht nur die Intimität der einzelnen Szenen ein, sondern schafft auch subtile Übergänge zwischen den absurden und den nachdenklichen Momenten, was dem Film eine fast schon poetische Qualität verleiht.
Gesellschaftskritik und Humor
Der Film gelingt es, aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen in eine humorvolle, fast schon absurde Erzählweise zu verpacken. Der Umgang mit Themen wie Realität versus Wahrnehmung oder der Suche nach individueller Freiheit wird nie moralisierend präsentiert, sondern stets mit einem Augenzwinkern und einer Prise Ironie. Die absurd anmutenden Ereignisse – wie das missglückte Waldbaden oder das mysteriöse Video von LUISA – tragen dazu bei, dass der Zuschauer immer wieder überrascht und zum Schmunzeln gebracht wird. Gleichzeitig regt der Film zum Nachdenken an: Welche Wahrheiten konstruieren wir uns selbst, und inwiefern sind diese Konstruktionsprozesse Teil unserer alltäglichen Erfahrungen?
Fazit
„ÜBERALL GIBT ES EIN HAUSEN“ ist ein Film, der sich nicht nur durch seinen unabhängigen Produktionsansatz, sondern auch durch seine inhaltliche Tiefe und die kreative Zusammenarbeit auszeichnet. Das wtp-kollektiv beweist eindrucksvoll, dass es möglich ist, mit minimalen Mitteln und in kürzester Zeit ein künstlerisch hochwertiges Werk zu schaffen, das aktuelle gesellschaftliche Themen auf erfrischend unorthodoxe Weise beleuchtet. Die kollektive Regie und die aktive Einbindung der Schauspielerinnen in die Gestaltung ihres eigenen künstlerischen Ausdrucks führen zu einem authentischen, lebendigen Ensemblefilm, der sowohl humorvoll als auch tiefgründig ist. Der Film fordert den Zuschauer auf, über die Grenzen der eigenen Wahrnehmung hinauszublicken und sich mit den Facetten von Akzeptanz, Realität und Wahrheit auseinanderzusetzen – und das alles in einem charmanten, fast schon anarchischen Ambiente, das dem Film seinen unverwechselbaren Charakter verleiht.
Insgesamt ist „ÜBERALL GIBT ES EIN HAUSEN“ ein gelungenes Beispiel für innovative, unabhängige Filmarbeit, das die Zuschauer sowohl unterhält als auch zum Nachdenken anregt.