Mit Spider-Man Reign: Das Regime Band 2 kehrt Kaare Andrews zurück in seine düstere Vision eines gealterten Peter Parker – eine Welt, die irgendwo zwischen dystopischem Noir, postheroischer Tragik und emotional aufgeladenem Superheldendrama angesiedelt ist. Schon der erste Band sorgte für kontroverse Diskussionen – und Band 2 legt in puncto Ambition, Stil und Schwere nochmals nach.
Die Zukunft ist tot – aber nicht vergessen
New York liegt weiter im eisernen Griff von Wilson Fisk, der als autoritärer Herrscher das Überleben seiner Ordnung über alles stellt. Der alternde Peter Parker, gezeichnet vom Verlust seiner großen Liebe Mary Jane, vegetiert zunächst in virtuellen Illusionen dahin – gefangen in bittersüßen Erinnerungen an eine bessere Zeit, die nie wiederkommt. Doch das Netz der Vergangenheit lässt ihn nicht los: Ein Riss in der Realität eröffnet Peter eine Zeitreise zurück zu einem jüngeren Selbst, einer noch heilen Welt – oder dem, was davon übrig ist.
Andrews entfaltet hier ein vielschichtiges Spiel mit Zeit, Erinnerung und Trauma. Der zweite Band ist dabei weniger ein klassisches Superheldenabenteuer, sondern eher eine psychologische Reise durch Schuld, Reue und Hoffnung. Es geht um die Frage, ob Helden ihre Fehler korrigieren können – und ob sie überhaupt sollten.
Zwischen Frank Miller und Spider-Verse: Stil und Ton
Die Ankündigung, Spider-Man Reign 2 bewege sich stilistisch „zwischen Frank Miller, Todd McFarlane und den Spider-Verse-Filmen“, trifft erstaunlich genau zu. Kaare Andrews’ Stil schwankt zwischen rauem Neo-Noir, experimenteller Panelstruktur und grotesker Überzeichnung. Die Einflüsse von The Dark Knight Returns sind klar erkennbar – der bärtige, innerlich zerbrochene Peter Parker erinnert mehr an Batmans Endzeit-Variante als an den quippenden Netzschwinger früherer Jahre.
Gleichzeitig durchzieht den Comic eine visuelle Poesie, wie sie in den Spider-Verse-Filmen gefeiert wird: Stilbrüche, visuelle Metaphern und surreale Sequenzen verleihen der Erzählung einen fast traumartigen Charakter. Es ist dieser ständige Wechsel zwischen Realität und Simulation, zwischen Vision und Erinnerung, der die Geschichte gleichermaßen faszinierend und verstörend macht.
Charakterzeichnung: Alter Held, neue Dimensionen
Peter Parker wird in Reign 2 nicht als Erlöser, sondern als tragische Figur inszeniert – ein Mann, der jahrzehntelang weggesehen hat, dessen Isolation zu tiefen Rissen in seiner Moral führte. Doch gerade das macht seine späte Rückkehr ins Heldentum so kraftvoll: Der lange Bart, der gebeugte Rücken und die verbitterten Augen verdecken nicht das, was Spider-Man immer ausgemacht hat – das Verantwortungsbewusstsein gegenüber anderen.
Mary Jane, obwohl in dieser Realität noch lebendig, bleibt ein Geist der Vergangenheit. Ihre Rolle ist weniger die der klassischen Love Interest als vielmehr ein moralischer Anker – ihr Schicksal hängt wie ein Damoklesschwert über Peters Entscheidungen, sowohl in der Gegenwart als auch in der Vergangenheit.
Düstere Vision mit Herz und Härte
Spider-Man Reign: Das Regime Band 2 ist kein Comic für zwischendurch. Er ist düster, herausfordernd, manchmal sperrig – aber in seinen besten Momenten tief berührend. Kaare Andrews schafft es, das klassische Superheldenmodell zu dekonstruieren, ohne es zynisch zu machen. Stattdessen setzt er auf emotionale Tiefe, existenzielle Fragen und einen visuell kompromisslosen Stil.
Der Band bietet keine einfache Antwort auf die großen Fragen: Kann man das Morgen retten, indem man das Gestern ändert? Ist ein zweiter Versuch wirklich eine zweite Chance? Und was passiert mit einem Helden, wenn die Welt ihn nicht mehr braucht?
Fazit: Visionär, verstörend, bedeutsam
Spider-Man Reign: Das Regime Band 2 ist kein klassischer Superheldencomic – und das ist seine größte Stärke. In Zeiten, in denen viele Comics auf Nostalgie oder Action setzen, liefert Andrews ein düsteres, mutiges, manchmal sperriges Werk ab, das den Leser fordert – emotional wie intellektuell. Für Fans von The Dark Knight Returns, Old Man Logan oder Spider-Verse bietet dieser Band eine faszinierende Perspektive auf eine der bekanntesten Figuren des Marvel-Kosmos.