Silvio Soldini, bekannt für feinfühlige Charakterdramen wie Brot und Tulpen, widmet sich in Die Vorkosterinnen einem düsteren Kapitel der deutschen Geschichte – und erzählt es mit leiser Intensität statt mit lauten Effekten. Der Film basiert lose auf wahren Begebenheiten und wirft einen ungewöhnlichen Blick auf den Alltag in der Nähe des Schreckenszentrums der NS-Diktatur: Hitlers Hauptquartier, der „Wolfsschanze“, in Ostpreußen.
Im Herbst 1943 flieht die junge Rosa Sauer (Elisa Schlott) aus dem zerbombten Berlin zu den Eltern ihres Mannes, der an der Ostfront kämpft. Doch die vermeintliche Sicherheit auf dem Land entpuppt sich schnell als Trugschluss. Die SS zwingt sie und andere Frauen aus der Umgebung, täglich Hitlers Mahlzeiten zu kosten – um sicherzustellen, dass sie nicht vergiftet sind. Was wie ein Schutz für den Diktator gedacht ist, wird für die Frauen zum täglichen Überlebensspiel. Jeder Bissen könnte ihr letzter sein.
Soldini inszeniert dieses beklemmende Szenario ohne reißerische Gesten. Stattdessen legt er den Fokus auf die menschliche Seite der Geschichte: den wachsenden Zusammenhalt unter den Frauen, ihre Angst, ihre Hoffnung und ihre Verzweiflung. Elisa Schlott überzeugt in der Hauptrolle als Rosa mit einer stillen, intensiven Präsenz. Ihr Spiel vermittelt sowohl Verletzlichkeit als auch innere Stärke – eine Frau, die zwischen Pflicht und moralischer Verantwortung gefangen ist.
Auch Max Riemelt liefert als undurchsichtiger SS-Offizier eine eindrucksvolle Leistung ab. Er verkörpert einen Mann, der zwischen Macht und Menschlichkeit schwankt, und wird so zum Spiegel der inneren Zerrissenheit vieler Figuren in diesem System. Die Dynamik zwischen ihm und Rosa verleiht dem Film zusätzliche Spannung, ohne in Klischees zu verfallen.
Visuell ist Die Vorkosterinnen von bedrückender Schönheit. Kameramann Luca Bigazzi fängt die weiten, herbstlichen Landschaften Ostpreußens in kühlen, fast farblosen Bildern ein, die die trostlose Stimmung perfekt unterstreichen. Der Kontrast zwischen der friedlichen Natur und der allgegenwärtigen Todesangst der Protagonistinnen erzeugt eine beklemmende Atmosphäre, die den Zuschauer tief ins Geschehen hineinzieht. Die Ausstattung wirkt detailgetreu und authentisch, ohne in museale Perfektion zu verfallen – man spürt den Schmutz, die Kälte und die ständige Bedrohung.
Dramaturgisch steigert sich der Film mit dem gescheiterten Attentat auf Hitler im Sommer 1944. Nach dem Anschlag verschärft sich die Lage für die Frauen dramatisch. Paranoia und Misstrauen greifen um sich, und die Grenze zwischen Opfer und Täter verschwimmt. Besonders eindrucksvoll ist dabei, wie Soldini das Gift nicht nur als physische Bedrohung, sondern als Metapher für die moralische Vergiftung einer ganzen Gesellschaft einsetzt. Als Rosa schließlich entdeckt, dass eine ihrer Mitgefangenen Jüdin ist, steht sie vor einer unmöglichen Entscheidung – und der Film gewinnt an emotionaler Wucht.
Die Vorkosterinnen ist kein Actionfilm, sondern ein stiller, tiefgreifender Humanismus-Thriller, der das Grauen nicht in Bildern von Gewalt, sondern in Momenten des Schweigens und Wartens zeigt. Soldini gelingt es, die Perspektive der Frauen in den Mittelpunkt zu rücken und dabei Empathie statt Sensationslust zu erzeugen.
Die neue Blu-ray-Veröffentlichung der Busch Media Group präsentiert den Film in hervorragender technischer Qualität. Das Bild überzeugt mit hoher Schärfe und einem feinen Detailgrad, der gerade die natürlichen Lichtverhältnisse und die nuancierte Farbgestaltung der Kameraarbeit wunderbar zur Geltung bringt. Die dunklen Szenen sind klar durchzeichnet, und auch die ruhigen Dialogsequenzen behalten ihre Tiefe und Textur. Der Ton liegt in sauber abgemischter deutscher Fassung vor – klar, präzise und atmosphärisch dicht. Die dezente Musikuntermalung, die häufig nur in Andeutungen vorhanden ist, kommt auf der Blu-ray hervorragend zur Geltung und verstärkt die emotionale Spannung des Films.
Silvio Soldinis Die Vorkosterinnen ist ein eindrucksvolles Stück Geschichtskino, das auf eindringliche Weise von Mut, Angst und moralischer Verantwortung erzählt. Der Film meidet die üblichen Kriegsfilm-Klischees und konzentriert sich stattdessen auf das Innenleben seiner Figuren. Elisa Schlott trägt das Werk mit einer herausragenden, fein nuancierten Darstellung, und Max Riemelt überzeugt als ambivalenter Gegenspieler.
Die Blu-ray von Busch Media Group liefert den Film in technisch exzellenter Form und macht deutlich, dass Die Vorkosterinnen nicht nur ein wichtiges historisches Drama, sondern auch ein künstlerisch bemerkenswertes Werk ist – still, eindringlich und tief bewegend.