Ein düsterer Schatten über London
London, Anfang des 20. Jahrhunderts: Die junge Phyllis Allenby (June Lockhart) lebt im ehrwürdigen Familienanwesen und steht kurz vor ihrer Hochzeit mit dem erfolgreichen Anwalt Barry (Don Porter). Doch das Glück wird von mysteriösen Ereignissen überschattet – Menschen werden im Park grausam getötet, und Gerüchte über eine „Wolfsfrau“ machen die Runde. Bald wird Phyllis von unheimlichen Träumen geplagt, in denen sie glaubt, selbst zu einer Bestie zu werden. Ist sie das Opfer eines Fluchs – oder steckt etwas ganz anderes hinter den nächtlichen Schrecken?
Zwischen Gothic-Grusel und Psychothriller
Jean Yarbroughs Die Werwölfin von London entstand 1946 als Teil der späten Phase der Universal-Horrorfilme – jener Reihe, die mit Klassikern wie Dracula, Frankenstein und The Wolf Man die Kinogeschichte prägte. Obwohl der Titel ein weiteres Monster-Spektakel erwarten lässt, geht der Film erzählerisch einen anderen Weg: Statt auf Effekte oder monströse Transformationen setzt Yarbrough auf Atmosphäre, Spannung und psychologische Andeutung.
Das Drehbuch spielt raffiniert mit der Unsicherheit der Hauptfigur: Ist Phyllis tatsächlich eine Werwölfin – oder Opfer einer Intrige? Die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit verschwimmen zunehmend. Damit unterscheidet sich der Film deutlich von früheren Werwolf-Interpretationen, etwa The Wolf Man (1941). Hier steht weniger das Übernatürliche im Mittelpunkt als vielmehr die zerstörerische Kraft von Angst, Manipulation und familiärem Druck.
Darsteller und Atmosphäre
June Lockhart liefert eine beeindruckende Leistung als verängstigte junge Frau, deren Psyche langsam zu zerbrechen droht. Ihre Verletzlichkeit und innere Zerrissenheit verleihen der Figur Tiefe, während Dennis Hoey als ihr besorgter Verlobter eine angenehm bodenständige Figur abgibt.
In den Nebenrollen glänzen Martin Kosleck und Jan Wiley – vertraute Gesichter des Universal-Kosmos –, die den Film mit klassischer Studio-Atmosphäre und einem Hauch übertriebener Theatralik bereichern.
Visuell überzeugt Die Werwölfin von London mit den typischen Qualitäten des Universal-Horrors: stimmungsvolle Studiokulissen, neblige Parks, dunkle Korridore und ein Gespür für gotische Schatten. Kameramann Maury Gertsman (der u.a. an House of Horrors arbeitete) nutzt Licht und Schatten meisterhaft, um das Unheimliche stets spürbar, aber nie plump zu zeigen.
Jean Yarbroughs Handschrift
Regisseur Jean Yarbrough war nie ein Auteur im klassischen Sinne, aber ein zuverlässiger Handwerker des B-Horrors. Mit Filmen wie The Devil Bat oder House of Horrors bewies er Gespür für Tempo und Spannung bei knappem Budget. Auch Die Werwölfin von London profitiert von seiner effizienten Inszenierung – der Film kommt ohne Längen aus, wirkt kompakt, pointiert und schafft es dennoch, eine intensive Atmosphäre aufzubauen.
Die neue Blu-ray von One Gate Media
Die von One Gate Media veröffentlichte Blu-ray-Erstauflage ist eine kleine Sensation für Sammler klassischer Gruselfilme. Zum ersten Mal liegt der Film in HD-Qualität als Einzelveröffentlichung vor.
Bildqualität:
Das neue HD-Master überzeugt mit deutlich gesteigerter Schärfe und kontrastreichen Schwarz-Weiß-Tönen. Feine Details in Kostümen und Setdesigns kommen besser zur Geltung, das Filmkorn bleibt angenehm natürlich. Kratzer und Verschmutzungen wurden weitgehend entfernt, ohne den nostalgischen Charme zu opfern.
Ton:
Der englische Originalton (mit optionalen deutschen Untertiteln) liegt in solider Qualität vor – klar, verständlich und authentisch im Monoformat. Auch die deutsche Synchronfassung ist enthalten, sauber restauriert und klanglich ordentlich.
Bonusmaterial:
Zwar ist das Bonusangebot überschaubar, aber für diese Art Veröffentlichung angemessen:
Ein informatives Booklet oder Audiokommentar wäre wünschenswert gewesen, doch angesichts des günstigen Preises ist das Paket dennoch rund.
Fazit
Die Werwölfin von London ist kein blutrünstiger Monsterfilm, sondern ein fein gesponnener, atmosphärischer Psycho-Grusel aus den letzten Tagen des klassischen Universal-Horrors. Jean Yarbroughs Film überzeugt durch seine stilvolle Inszenierung, starke Hauptdarstellerin und das Spiel mit der Frage nach Realität und Wahn.
Die Blu-ray von One Gate Media präsentiert den Film in bestmöglicher Qualität und macht ihn endlich wieder zugänglich – ein echtes Geschenk für Liebhaber klassischer Schwarz-Weiß-Gruselfilme.