Seit seiner Erstausstrahlung 1990 wirkte David Wheatleys Fernsehfilm „Der Marsch“ wie ein düsteres Albtraumszenario: Eine Umweltkatastrophe ungeahnten Ausmaßes hat weite Teile Afrikas unbewohnbar gemacht, und eine immer größer werdende Karawane hungernder Menschen setzt sich in Bewegung, um in Europa Zuflucht und ein Überleben zu finden. Dreißigfünf Jahre später wirkt diese Vision beklemmend nah an der heutigen Realität. Zu Beginn nimmt Wheatley uns mit auf eine kaum mehr vertraute Erde: heiße, staubige Ebenen, ausgebrannte Felder, in denen nur noch vereinzelt dürre Büsche stehen. Die Kamera zeigt die Gesichter der Frauen, Männer und Kinder in Nahaufnahmen, ihr Elend greifbar, ihre Hoffnung kaum mehr als ein Funke in ausdruckslosen Augen.
Im Zentrum des Trecks steht Malick Bowens, dessen physiognomische Präsenz dem Film eine unerschütterliche Würde verleiht. Bowens gelingt es, den Spagat zwischen Resignation und unbändiger Entschlossenheit zu verkörpern, während Juliet Stevenson als britische Journalistin und Beobachterin eine kritische Distanz wahrt, die jedoch bald moralisch in Mitleidenschaft gezogen wird. Stevenson verleiht ihrer Figur jene intellektuelle Schärfe, die das schmale Gerüst der Handlung trägt, wenn sie das politische Berlin oder Brüssel aufs Korn nimmt und hinter vorgehaltener Kamera die Hilflosigkeit und Ignoranz der Mächtigen entlarvt.
Wheatleys Inszenierung folgt einem dokumentarischen Duktus: lange Einstellungen, statische Kamerafahrten und nahezu kein Off-Kommentar lassen die Bilder für sich sprechen. Erst gegen Ende hin, wenn die Karawane eine südfranzösische Kleinstadt erreicht und die europäischen Politiker in Panik verfalle n, zieht der Film Tempo an – und steigert die Dramatik bis zum erdrückenden Finale. Die Halbtotalen des marschierenden Menschenmeers wirken damals wie heute erschreckend aktuell, und das Spielfeld bleibt radikal: Es gibt keine Heldenreisen, keine bequemen Erlösungen, sondern nur die brutale Frage danach, wer das nackte Leben verteidigen darf.
Die neue Blu-ray-Ausgabe der Busch Media Group, erschienen im März 2025, bringt diesem finsteren Kleinod der Zukunftsvision endlich die technische Vollendung, die es verdient. Das frisch restaurierte HD-Master zeigt erstmals die volle Schärfe der 35 Jahre alten Aufnahmen: Vom knisternden Sand in den afrikanischen Dünen bis zu den feinen Hautporen der Darstellenden ist nichts dem Rauschen oder der Unschärfe älterer Transfers zum Opfer gefallen. Die Farbdynamik wurde behutsam aufgearbeitet, sodass die Hitze flirrender Wüsten genauso eindringlich wirkt wie die kühlen Flure politischer Entscheidungsträger. Akustisch punktet die Blu-ray mit DTS-HD Master Audio 2.0 in Deutsch und Englisch: Die Dialoge sind nie übersteuert, und selbst der leiseste Windhauch vermittelt ein Gefühl unmittelbarer Präsenz.
Ebenfalls lobenswert ist die liebevolle Aufmachung: Die matt lackierte Amaray-Hülle trägt auf der Rückseite prägnante Beschreibungen zu Film und Restaurierung, das Wendecover offeriert auf der Rückseite eine stilisierte Illustration des endlosen Trecks – perfekt für Sammler*innen. Im Inneren findet sich neben der Blu-ray ein kleines Booklet mit einem Interview des Restaurators, der detailliert auf die technischen Herausforderungen eingeht: Wie man dem Korn in den riskanten Außenaufnahmen beikam, welche Farbkorrekturen nötig waren und warum das Archivmaterial der frühen 1990er-Jahre kaum brauchbare Tonspuren enthielt.
Abgerundet wird das Paket durch ein geschmackvoll zusammengestelltes Bonusmaterial: Ein ausführlicher technischer Bildvergleich lässt uns in geteiltem Bildschirm das alte PAL-Master gegen das neue HD-Remaster antreten und offenbart im Detail, wie stark sich Kantenschärfe und Kontrast verbessert haben. Die Trailershow zeigt nicht nur den Original-Trailer von 1990, sondern auch einen neu gestalteten Teaser, der augenscheinlich auf Streaming-Plattformen setzt und im offenen Kontrast zur nüchternen Ästhetik des Films steht. Selbst das Wendecover überrascht mit alternativen Artworks, die das Leid der Protagonist*innen grafisch aufgreifen, ohne ins Kitschige abzudriften.
„Der Marsch“ bleibt auch heute eine beklemmende Parabel auf politisches Versagen: Die europäischen Regierungen reagieren erst, als der Treck fast schon vor ihrer Haustür steht. Wheatley zeichnet ein Bild, das bis in kleinste Nebenhandlungsebenen durchdacht ist: Beamte, die ihre Papiere zählen; Reporter, die auf Sensationswert schielen; Anwohner, die zwischen Mitgefühl und Angst zerrieben werden. In dieser Mischung aus Realismus und apokalyptischer Zuspitzung entfaltet der Film eine geradezu prophetische Wucht.
Wer sich auf diese Blu-ray einlässt, erlebt nicht nur ein filmhistorisches Dokument, sondern eine Bekräftigung der Dringlichkeit, sich gegen Ignoranz und Engstirnigkeit zu stemmen. Technisch bestens ausgestattet und inhaltlich erschütternd aktuell, ist die Ausgabe der Busch Media Group ein Muss für alle, die sich für politisch relevante Dramen interessieren und Wert auf hochwertige Restaurationsarbeit legen. „Der Marsch“ mag 35 Jahre alt sein, seine Botschaft aber ist zeitlos – und so kraftvoll wie am ersten Tag.