Akira Kurosawas „Ran“ ist ein monumentales Werk, das gleichermaßen wie ein Vermächtnis und wie ein radikaler Schlusspunkt wirkt. Mit 75 Jahren inszenierte der Regisseur, der bereits mit Filmen wie „Die sieben Samurai“ und „Yojimbo“ das Weltkino geprägt hatte, ein Epos von apokalyptischer Wucht. Die Handlung ist im Japan des 16. Jahrhunderts angesiedelt: Der mächtige Fürst Hidetora Ichimonji, einst gefürchtet und geachtet, beschließt, sein Reich unter seinen drei Söhnen Taro, Jiro und Saburo aufzuteilen und den ältesten Sohn als Nachfolger einzusetzen. Doch der jüngste Sohn Saburo widerspricht, wirft seinem Vater vor, seine Macht auf Intrigen und Blut gebaut zu haben, und prophezeit, dass das Reich in dem Moment zerfallen wird, in dem es aufgeteilt wird. Aus verletztem Stolz verbannt Hidetora den einzigen Sohn, der ihm ehrlich gegenübertritt – und setzt damit eine tragische Kettenreaktion in Gang, die unaufhaltsam auf den Untergang der Familie und des Reiches zusteuert.
Kurosawa verbindet in „Ran“ eine japanische Volkssage mit Elementen aus Shakespeares „König Lear“. Doch die Umsetzung ist weit mehr als eine Adaption: Der Film ist eine düstere Parabel über Machtgier, Verrat, Vergänglichkeit und das völlige Ausgeliefertsein an das Chaos, das unter der Oberfläche menschlicher Ordnungen lauert. Mit Tatsuya Nakadai in der Hauptrolle gelingt es Kurosawa, Hidetora nicht als reinen Tyrannen, sondern als tragische Figur zu zeichnen: Ein Mann, der in seiner eigenen Hybris untergeht und im Laufe des Films nicht nur sein Reich, sondern auch seine Identität verliert. Nakadai durchläuft dabei eine gewaltige emotionale Spannbreite – vom autoritären Kriegsherrn bis zum zerbrochenen, von Wahnsinn gezeichneten alten Mann.
Die Besetzung ist bis in die Nebenrollen stark. Akira Terao, Daisuke Ryû und Jinpachi Nezu verkörpern die Söhne mit unterschiedlichen Facetten von Ehrgeiz, Unsicherheit und Loyalität, während Mieko Harada als Lady Kaede eine der faszinierendsten Figuren des Films ist: eine Frau, die das Spiel der Macht bis ins Extrem spielt und dabei eine unheimliche Mischung aus Verletzlichkeit und zerstörerischer Entschlossenheit offenbart.
Visuell ist „Ran“ ein Meisterstück. Die Farbdramaturgie, die Kurosawa und seine Kameraleute entwerfen, ist von ikonischer Kraft: Die leuchtenden Farben der Rüstungen, das blutrote Schlachtfeld, das matte Grau der verbrannten Landschaften – all das wirkt wie bewegte Malerei. Die Bildkompositionen sind streng, fast architektonisch, oft mit der Ruhe klassischer Tafelbilder, bevor sie in gewaltige, chaotische Bewegungen ausbrechen, wenn der Krieg über die Leinwand rollt. Kurosawa arbeitet hier mit einer Präzision, die jede Szene zum Ausdrucksträger des Untergangs macht. Unterstützt wird diese visuelle Kraft von Toru Takemitsus Musik, die zwischen erhabener Stille und klagender Wucht changiert und die Tragödie noch verstärkt.
„Ran“ war zur Zeit seiner Entstehung der teuerste japanische Film überhaupt, und es ist spürbar, dass Kurosawa jedes Detail genutzt hat, um daraus ein Gesamtkunstwerk zu machen. 1986 erhielt der Film vier Oscar-Nominierungen, darunter für die beste Regie, und wurde für das beste Kostümdesign ausgezeichnet. Doch über Preise hinaus hat „Ran“ sich vor allem als ein Film in die Kinogeschichte eingeschrieben, der Größe und Zerfall zugleich zelebriert.
Die neue 4K Special Edition, die Arthaus im Sommer veröffentlicht, bringt das Epos in einer Form auf den Bildschirm, die der Bildgewalt des Originals gerecht wird. Die aufwendig restaurierte Fassung präsentiert den Film in nativer 4K-Auflösung mit erweitertem Dynamikumfang, wodurch die Farbgestaltung und die Lichtnuancen noch intensiver zur Geltung kommen. Das Bild wirkt klarer, detailreicher und näher an der visionären Bildsprache, die Kurosawa intendierte. Die Tonspuren liegen in mehreren Sprachen in hochwertigem Mehrkanalton vor, wodurch die Klangwelt – von den Stille-Passagen bis zu den infernalischen Schlachtszenen – eindrucksvoll transportiert wird.
Besonders hervorzuheben ist das umfangreiche Bonusmaterial dieser Special Edition. Die Dokumentation „Ran: Die Restaurierung“ gibt Einblicke in die aufwendige Bearbeitung des Materials, während „A.K.“, Chris Markers berühmter Dokumentarfilm über Kurosawa, den Blick hinter die Kulissen erweitert. Featurettes wie „Ran: Epos und Innenleben“ und „Catherine Cadou über Akira Kurosawa“ beleuchten sowohl die Produktionsgeschichte als auch die philosophischen und künstlerischen Hintergründe. Dazu kommen Interviews mit dem Kameramann Shôji Ueda und Mieko Harada, die aus erster Hand erzählen, wie es war, an diesem Mammutprojekt mitzuwirken. Mit „Die Kunst des Samurai“ und der Dokumentation „Die Samurai“ wird der historische Kontext aufgegriffen, der den Film inspiriert hat.
Als zusätzliches Highlight liegt dieser Edition eine eigene Soundtrack-CD bei, die Toru Takemitsus Kompositionen in voller Länge präsentiert. Ein liebevoll gestaltetes Booklet mit umfangreichen Hintergrundtexten und seltenem Bildmaterial rundet das Paket ab und macht die Veröffentlichung zu einer Hommage an Kurosawas Spätwerk.
In dieser Form entfaltet „Ran“ seine volle Wucht: ein filmisches Gedicht über die Sinnlosigkeit von Macht, über das Unausweichliche von Verrat und über den Zusammenbruch menschlicher Ordnung angesichts des Chaos. Die 4K Special Edition ist mehr als nur eine technische Neuveröffentlichung – sie ist eine Einladung, dieses Meisterwerk in seiner ganzen Tragweite neu zu erleben. Kurosawas „Ran“ bleibt ein Meilenstein des Weltkinos, und diese Edition ist die bisher würdigste Präsentation eines Films, der so groß ist, dass er die Leinwand sprengt.