Mit der DVD-Veröffentlichung Weißt du noch? Tschernobyl aus der Reihe DDR TV-Archiv bringt One Gate Media eine eindrucksvolle Sammlung historischer Fernsehbeiträge zurück ins öffentliche Bewusstsein, die eindringlich zeigen, wie DDR-Medien mit einer der folgenschwersten Katastrophen des 20. Jahrhunderts umgingen. Die vier enthaltenen Dokumentationen liefern nicht nur einen authentischen Blick auf das damalige Geschehen, sondern sind zugleich berührende Porträts menschlicher Schicksale im Schatten nuklearer Bedrohung.
1. Tschernobyl und kein Ende
Diese Reportage entstand fünf Jahre nach dem Super-GAU – und ist ein erschütterndes Zeugnis über die langfristigen Folgen der Explosion im Reaktor 4. Ein Team reist in die "verbotene Zone", das menschenleere Sperrgebiet rund um das havarierte Kernkraftwerk. Die Kamera dokumentiert zerstörte Dörfer, verlassene Häuser, aber auch das Leben jener Menschen, die trotz der Strahlung zurückgekehrt sind oder nie gegangen waren. Die Interviews mit Betroffenen sind voller Schmerz, aber auch bemerkenswerter Resilienz. Besonders berührend: die Schilderungen der "Liquidatoren", der Helfer der ersten Stunde, die ohne Schutzmaßnahmen versuchten, das Schlimmste zu verhindern – oft mit tödlichen Konsequenzen.
2. Tschernobyl – Zwei Wochen Hoffnung
Diese Reportage wählt einen anderen Zugang: Sie begleitet eine Gruppe von 40 Kindern aus der verstrahlten Region, die Weihnachten in Brandenburg verbringen dürfen. Was als vermeintlich kleine Geste erscheint, wird zum eindrucksvollen Spiegel der Hoffnung inmitten einer traumatisierten Realität. Die Kamera beobachtet die Kinder im Alltag, beim Spielen, Essen und Lernen – und führt dem Zuschauer zugleich vor Augen, welche psychischen und physischen Spuren das Leben in der radioaktiven Zone hinterlassen hat. Es entsteht ein stiller, rührender Film über Mitgefühl, Verlust – und das Aufatmen fern der Heimat.
3. Angst vor Kernkraft – Fragen an ein Energiekonzept
Diese Sendung wechselt die Perspektive und richtet den Blick auf die eigene Energiepolitik der DDR. Im Zentrum stehen die Kernkraftwerke Lubmin und Stendal, deren Sicherheitsstandards kritisch beleuchtet werden. Vor dem Hintergrund von Tschernobyl wird deutlich, wie unzureichend Informationen, Vorsorgemaßnahmen und Kontrollmechanismen waren. Die Dokumentation stellt unbequeme Fragen: Wie sicher sind unsere Reaktoren wirklich? Wurden Risiken bewusst kleingeredet? Und welche Alternativen wären möglich gewesen? Besonders interessant ist, wie offen diese Fragen bereits zu DDR-Zeiten formuliert wurden – ein bemerkenswerter Kontrast zur oft kontrollierten Medienlandschaft jener Epoche.
4. Tschernobyl – Menschen in der Zone
Die vierte Reportage ist eine der eindrucksvollsten. Sie porträtiert das Leben der rund 2,5 Millionen Menschen – darunter etwa 500.000 Kinder – die am 26. April 1986 einer direkten oder indirekten Strahlenbelastung ausgesetzt waren. Mit stiller Genauigkeit dokumentieren die Reporter ihren Alltag in der sogenannten "blauen Zone", einer Zone erhöhter, aber nicht evakuierter Strahlenbelastung. Gezeigt werden ärmliche Wohnverhältnisse, medizinische Untersuchungen, Kinder mit Gesundheitsschäden – aber auch ein unbeugsamer Wille, irgendwie weiterzumachen. Der Film ist eine Mahnung, aber keine Anklage. Er lässt Zahlen zu Gesichtern werden.
Technische Umsetzung der DVD
One Gate Media liefert diese Zeitdokumente in einer ordentlichen, dem Alter entsprechenden Bild- und Tonqualität. Die Aufnahmen stammen aus den Archiven des DDR-Fernsehens und weisen das typische 4:3-Format sowie zeitbedingte Bildartefakte auf – was dem historischen Charakter der Beiträge jedoch keinen Abbruch tut. Vielmehr verstärken die sichtlich analogen Aufnahmen die Authentizität und den dokumentarischen Wert. Die Menüführung der DVD ist übersichtlich, der Zugang zu den vier Filmen intuitiv.
Fazit
Weißt du noch? Tschernobyl ist weit mehr als eine Sammlung alter Fernsehsendungen – es ist ein bewegendes Zeitdokument, das nüchtern, aber mit großer menschlicher Tiefe über eine Katastrophe berichtet, deren Nachwirkungen bis heute spürbar sind. Die vier Reportagen zeigen nicht nur das Ausmaß des Unfalls, sondern auch, wie Medien – selbst in einem politisch kontrollierten System – Empathie, Kritik und Aufklärung leisten konnten. Für historisch Interessierte, Lehrende oder einfach Menschen mit einem Sinn für gesellschaftliche Verantwortung ist diese DVD ein Muss.