Jean-Jacques Beineix’ Diva gehört zu jenen seltenen Filmen, die man nicht einfach nur sieht, sondern erlebt – ein Werk, das mit seiner hypnotischen Mischung aus Stilbewusstsein, Musik und Emotion die Grenzen zwischen Kunst und Unterhaltung sprengt. Als der Film 1981 in die französischen Kinos kam, löste er einen regelrechten Kulturschock aus. In einer Zeit, in der das französische Kino vom sozialkritischen Realismus geprägt war, wagte Beineix etwas scheinbar Unzeitgemäßes: ein modernes Märchen, das sich weigert, der Tristesse zu dienen, und stattdessen die Schönheit des Künstlichen feiert.
Die Handlung beginnt mit einer verbotenen Tonaufnahme – einem Akt der Verehrung, der zugleich der Beginn eines Albtraums ist. Der junge Postbote Jules, gespielt von Frédéric Andréi, ist ein romantischer Einzelgänger in der Metropole Paris. Als leidenschaftlicher Opernliebhaber besucht er ein Konzert der gefeierten amerikanischen Sopranistin Cynthia Hawkins, verkörpert von der beeindruckenden Wilhelmenia Fernandez. Hawkins ist eine Diva im klassischen Sinne – stolz, unnahbar, und in ihrer Kunst kompromisslos. Sie verweigert jegliche Schallplattenaufnahme, weil sie glaubt, dass Musik nur im Augenblick existieren sollte. Jules aber, geblendet von Bewunderung, nimmt heimlich ihr Konzert auf, um die vergängliche Schönheit ihrer Stimme festzuhalten. Was als naive Geste der Liebe beginnt, zieht eine Kette von Ereignissen nach sich, die ihn in eine gefährliche Jagd durch das nächtliche Paris verwickeln.
Denn unbeabsichtigt gerät ein zweites Tonband in seinen Besitz – eine Tonaufnahme, die die Aussagen einer ermordeten Prostituierten enthält und damit mächtige Kreise innerhalb der Polizei kompromittiert. Von diesem Moment an lauern die Verfolger überall: Gangster, korrupte Beamte, zwielichtige Sammler – sie alle jagen Jules, der zwischen seiner Verehrung für die Diva und seiner nackten Angst um das eigene Leben hin- und hergerissen ist.
Doch Beineix interessiert weniger die Kriminalgeschichte an sich als deren ästhetische und emotionale Dimension. Diva ist kein Thriller im klassischen Sinne, sondern eine kunstvoll orchestrierte Choreografie aus Licht, Klang und Bewegung. Das Paris, das Beineix zeigt, ist ein visuelles Labyrinth – eine Stadt der Kontraste, der Leere und der Überfülle, in der sich kaltes Neonlicht mit melancholischem Blau mischt. Die berühmte Mopedverfolgung durch die Pariser Métro ist bis heute ein Meisterstück der Inszenierung, ein Rausch aus Tempo, Raum und Klang, der die Nerven vibrieren lässt und dabei nie den Sinn für Rhythmus verliert.
Das Kino des Jean-Jacques Beineix war immer ein Kino des Sehens und Hörens, nicht des bloßen Erzählens. Er begründete mit Diva den sogenannten „Cinéma du look“, eine Bewegung, die in den 1980er Jahren von Regisseuren wie Luc Besson (Subway) oder Leos Carax (Mauvais Sang) fortgeführt wurde. Dieses Kino war jung, sinnlich und kompromisslos visuell. Es war das Kino einer Generation, die sich von intellektueller Schwere befreien wollte und stattdessen die Kraft der Oberflächen, der Farben, der Musik und der Körper feierte. Diva war der Auftakt – ein Werk, das beweist, dass Stil selbst Inhalt sein kann.
Die Figuren dieses Films sind keine psychologisch realistischen Menschen, sondern moderne Archetypen: Jules, der unschuldige Träumer, der sich unbewusst in ein Spiel aus Macht und Leidenschaft verstrickt; Cynthia, die göttliche Sängerin, deren Kunst ebenso heilig wie zerstörerisch ist; Gorodish, gespielt vom charismatischen Richard Bohringer, der als geheimnisvoller Außenseiter Jules hilft und dabei die Aura eines philosophischen Vagabunden verströmt. Beineix’ Figuren sprechen nicht nur, sie schweben, sie bewegen sich im Rhythmus der Bilder, als wären sie Teil einer Partitur.
Über vierzig Jahre nach seiner Premiere erlebt Diva nun dank der neuen 4K-Restaurierung von Studiocanal im Label Arthaus eine glanzvolle Wiedergeburt. Der Film wurde mit höchster Sorgfalt vom Originalnegativ restauriert, und das Ergebnis ist schlichtweg atemberaubend. Beineix’ ikonische Farbpalette – das tiefe, kühle Blau, das die Nacht durchzieht; die warmen Goldtöne, die die Opernszenen erhellen; die grellen Rot- und Gelbtöne der Pariser Straßen – leuchten in bisher ungeahnter Klarheit. Das Bild besitzt eine faszinierende Tiefe, das Filmkorn bleibt fein und authentisch, und die Kontraste sind so präzise gesetzt, dass man die Textur der Stadt, das Glühen des Metalls und die Samtigkeit der Haut fast spüren kann. Auch die Tonspuren – sowohl im französischen Original als auch in der sorgfältig überarbeiteten deutschen Synchronfassung – entfalten eine neue Räumlichkeit. Die Opernpassagen, allen voran Wilhelmenia Fernandez’ legendäre Interpretation der Arie „Ebben? Ne andrò lontana“ aus Alfredo Catalanis La Wally, wirken in der neuen Abmischung noch eindringlicher, fast körperlich spürbar.
Was diese Edition jedoch besonders wertvoll macht, sind die umfangreichen Extras, die Studiocanal und Arthaus hier zusammengestellt haben. Die Dokumentation Blue Comme Diva – Erinnerungen an einen Kultfilm (ca. 72 Min.) ist weit mehr als ein nostalgischer Rückblick. Sie erzählt die Entstehungsgeschichte eines Films, der seiner Zeit voraus war, und lässt Weggefährten, Schauspieler, Techniker und Filmhistoriker zu Wort kommen, die die kreative Radikalität und den Perfektionismus Beineix’ eindrucksvoll nachzeichnen. Diese Rückblicke zeigen auch, wie schwer es war, einen Film zu schaffen, der die französische Kinotradition sprengte und doch zutiefst französisch blieb.
Ergänzt wird dieses Bonusmaterial durch Denis Parent über den Film (2025, ca. 44 Min.), einen neuen Essayfilm, der Diva im filmhistorischen Kontext verortet. Parent analysiert, wie Beineix mit Licht, Architektur und Musik ein neues audiovisuelles Vokabular schuf, das bis heute nachwirkt – nicht nur im französischen Kino, sondern auch in internationalen Produktionen, in Mode, Werbung und Musikvideos. Besonders eindrucksvoll ist Parents Beobachtung, dass Diva ein Film über das Hören ist – über die Magie und das Risiko, Klang zu bewahren. Der verbotene Tonmitschnitt, der die Handlung auslöst, wird so zur Metapher für die Sehnsucht des Menschen, das Flüchtige festzuhalten – und damit zugleich für die Macht und Gefährdung der Kunst selbst.
In dieser restaurierten Fassung entfaltet Diva seine ganze Poesie. Beineix’ Film ist ein Werk über Leidenschaft, über die Schönheit des Moments und über den Widerspruch zwischen Vergänglichkeit und Dauer. Er ist eine Liebeserklärung an die Stadt Paris, an die Musik, an das Kino – und an die Möglichkeit, inmitten des urbanen Lärms einen Augenblick reiner Harmonie zu finden.
Die neue 4K-Ausgabe von Diva ist deshalb nicht nur eine technische Aufwertung, sondern ein kulturelles Ereignis. Sie erlaubt es, diesen Film wieder so zu sehen, wie Beineix ihn gedacht hat: als vibrierendes, leuchtendes Gesamtkunstwerk, das sich dem Lauf der Zeit widersetzt. Die Restaurierung, die klangliche Tiefe, die filmhistorischen Extras und die elegante Präsentation im Arthaus-Design machen diese Edition zu einer wahren Hommage an einen der faszinierendsten Filme der 1980er Jahre.
Diva ist ein Film, der mit jeder neuen Sichtung reifer, schöner und geheimnisvoller wird. In seiner sinnlichen Überfülle und melancholischen Reinheit bleibt er ein einzigartiges Erlebnis – eine Oper aus Bildern, die endlich wieder in der bestmöglichen Qualität erstrahlt.