Der Sammelband Die Thunderbolts Anthologie: Böse Helden, erschienen bei Panini, ist ein wahres Fest für Fans des düstereren Marvel-Universums – und gleichzeitig ein perfekter Einstieg für alle, die bisher nur am Rande mitbekommen haben, dass die Thunderbolts nicht einfach nur ein weiteres Superheldenteam sind. Dieser großformatige, üppig ausgestattete Band versammelt ausgewählte Meilensteine aus der langen und wechselhaften Geschichte der Thunderbolts – jenes „Heldenteams“, das von Anfang an mit einer gehörigen Portion Zynismus, Täuschung und Gewalt in der Welt der maskierten Rächer operierte.
Was diesen Band besonders macht, ist sein stark kuratierter Überblick über die verschiedenen Epochen und Inkarnationen der Thunderbolts – von der legendären Originalidee von Kurt Busiek und Mark Bagley, in der Superschurke Baron Zemo eine Gruppe von Bösewichten als Superhelden ausgibt, bis hin zu den finsteren Black-Ops-Varianten unter Norman Osborn, Luke Cage, Hawkeye, dem Winter Soldier oder Red Hulk. Jeder Abschnitt des Bands wird durch kontextgebende Hintergrundtexte ergänzt, die nicht nur helfen, die jeweiligen Geschichten historisch und thematisch einzuordnen, sondern auch deutlich machen, wie sehr sich das Konzept der Thunderbolts über die Jahre gewandelt – oder eher: radikal neu erfunden – hat.
Der Band ist dabei weit mehr als eine nostalgische Rückschau: Er zeigt auf, dass die Thunderbolts in ihrer Essenz immer ein Spiegel der jeweiligen Marvel-Ära waren. Ob in den 90ern, als die Idee der „Schurken als Helden“ durch die Enthüllung der wahren Identitäten für Schockmomente sorgte, oder in den düsteren 2000ern, als Figuren wie Venom, Bullseye oder Moonstone für Norman Osborns Dark Avengers und seine manipulative Version der Thunderbolts rekrutiert wurden – immer wieder steht die zentrale Frage im Raum: Kann man das Böse für das Gute einsetzen – oder korrumpiert es alles, was es berührt?
Ein Highlight des Bands ist der stilistische und inhaltliche Wechsel zwischen den einzelnen Geschichten. So liest man zunächst klassische Superhelden-Action mit Twist aus der Feder von Busiek, nur um wenige Seiten später in die atmosphärisch dichte, nahezu nihilistische Phase von Warren Ellis und Mike Deodato Jr. einzutauchen, in der Gewalt, Überwachung und psychologische Manipulation den Ton angeben. Auch die späteren Teamzusammenstellungen – etwa unter Luke Cage, der ehemaligen Schurken wie Ghost, Crossbones oder Juggernaut eine zweite Chance gibt – bieten faszinierende Dynamiken und werfen moralische Fragen auf, wie sie in klassischen Avengers-Titeln selten so konsequent gestellt werden.
Natürlich sind nicht alle enthaltenen Kapitel gleich stark, was bei einer Anthologie naturgemäß der Fall ist. Manche Episoden wirken eher als Momentaufnahme denn als vollwertige Geschichte, doch durch die kluge Auswahl und die begleitenden Texte ergibt sich dennoch ein stimmiges Gesamtbild. Besonders lobenswert ist, dass Panini die einsteigerfreundliche Aufbereitung ernst nimmt – auch Leser:innen ohne Vorwissen finden hier schnell hinein, da jede Phase gut erklärt und historisch eingeordnet wird.
Die künstlerische Bandbreite ist ebenso beeindruckend: Von klassischen Superheldenzeichnungen über die düstere Eleganz eines Mike Deodato Jr. bis hin zum unverwechselbaren Stil eines Steve Dillon reicht die visuelle Palette, und jede Inkarnation bringt nicht nur neue Gesichter, sondern auch eine andere Ästhetik mit sich. Dieser Aspekt macht den Band auch visuell abwechslungsreich und spannend.
Fazit:
Die Thunderbolts Anthologie: Böse Helden ist ein hervorragender Überblick über eines der unkonventionellsten und faszinierendsten Teams des Marvel-Universums. Sie bietet nicht nur Fans der ersten Stunde einen nostalgischen Rückblick auf über zwei Jahrzehnte Comicgeschichte, sondern auch Neueinsteigern die ideale Möglichkeit, das vielschichtige Konzept der Thunderbolts in all seinen Facetten zu entdecken. Eine gelungene Mischung aus Action, Intrige, moralischer Grauzone und Comic-Historie – so sollten Anthologien aussehen. Ein Muss für alle, die Marvel abseits der klassischen Helden entdecken wollen.