Mit „Sechs auf einen Streich: Das Märchen vom Schwanensee“ legt Regisseur Christian Theede eine poetische, zugleich erstaunlich zeitgemäße Neuinterpretation eines der berühmtesten Märchenstoffe vor. Der Film verbindet Motive der Brüder Grimm mit der ikonischen Bild- und Gefühlswelt von Tschaikowskys Ballett und übersetzt sie behutsam in eine erzählerische Sprache, die sowohl Kindern als auch erwachsenen Märchenliebhaberinnen und -liebhabern gerecht wird. Im Zentrum steht ein Held, der sich wohltuend von klassischen Prinzenfiguren unterscheidet: Friedrich, ein junger Mann, der lieber lacht als regiert und lieber durch Wälder streift als durch Tanzsäle. Diese Leichtigkeit und Verweigerung gegenüber höfischen Zwängen verleiht der Geschichte von Beginn an einen leisen rebellischen Unterton, der sie klar im Heute verankert.
Als Friedrichs Mutter ihn zur Heirat drängen will, wird die Flucht ins Grüne zum Akt der Selbstbehauptung. Dort begegnet er Odette, einem geheimnisvollen Mädchen, das ein tragisches Geheimnis in sich trägt: Tagsüber ist sie ein Schwan, verzaubert vom finsteren Rotbart. Nur wahre Liebe kann den Bann brechen, doch Odette hat längst aufgehört, an Erlösung zu glauben. Gerade diese Resignation macht ihre Figur so berührend. Samirah Breuer verleiht Odette eine fragile Stärke, die ohne große Worte auskommt und den inneren Konflikt zwischen Hoffnung und Aufgabe glaubhaft transportiert. Friedrich hingegen erkennt in ihr mehr als nur ein Opfer eines Zaubers, sondern eine eigenständige Persönlichkeit, für die es sich zu kämpfen lohnt.
Silke Bodenbender überzeugt als Königin mit einer Mischung aus Strenge und unterschwelliger Verletzlichkeit. Ihre Figur ist weniger Antagonistin als vielmehr Repräsentantin eines Systems, das Pflichten über Gefühle stellt. Dieser differenzierte Blick auf elterliche Autorität gehört zu den Stärken des Films, der Konflikte nicht vereinfacht, sondern emotional nachvollziehbar ausarbeitet. Der wahre Gegenspieler bleibt Rotbart, dessen finstere Pläne sich zuspitzen, als der Ball naht und er seine Tochter an Odettes Stelle schickt. Hier verdichtet sich das Drama, ohne in düstere Schwere abzurutschen. Theede wahrt stets den märchenhaften Ton, der Spannung und Magie miteinander verbindet.
Visuell besticht der Film durch eine atmosphärische Bildgestaltung, die Natur und Schlosswelten kontrastiert und Odettes Verwandlung in einen Schwan mit poetischer Zurückhaltung inszeniert. Die Anleihen an Tschaikowskys „Schwanensee“ sind spürbar, ohne aufdringlich zu sein, und fügen sich harmonisch in die Filmmusik ein. Besonders gelungen ist der Mut, das Märchen nicht nur als Liebesgeschichte, sondern auch als Erzählung über Selbstbestimmung und Vertrauen zu lesen. Liebe erscheint hier nicht als romantische Verklärung, sondern als bewusste Entscheidung, die Verantwortung und Risiko einschließt.
Die neue DVD-Veröffentlichung von One Gate Media präsentiert den Film in sehr guter Bild- und Tonqualität und lässt die sorgfältige Ausstattung sowie die stimmungsvollen Landschaftsaufnahmen voll zur Geltung kommen. Gerade im Heimkino entfaltet die ruhige Erzählweise ihre Wirkung, da Details in Mimik, Kostüm und Lichtgestaltung stärker wahrnehmbar werden. Der Film fügt sich damit nahtlos in die lange Erfolgsgeschichte der ARD-Märchenreihe „Sechs auf einen Streich“ ein, die seit inzwischen 17 Jahren mit hohem handwerklichem Anspruch und prominenten Darstellerinnen und Darstellern klassische Stoffe neu belebt.
„Das Märchen vom Schwanensee“ ist letztlich mehr als eine bloße Nacherzählung. Es ist eine sensible, poetisch-moderne Variation, die Mut zur Eigenständigkeit beweist und gerade dadurch dem bekannten Stoff neue emotionale Tiefe verleiht. Christian Theede gelingt ein Märchen, das verzaubert, ohne sich in Nostalgie zu verlieren, und das zeigt, wie lebendig und relevant diese Erzählform auch heute noch sein kann.